Freitag, 29. Mai 2020

DJ Sam Madi: «Ich geniesse diesen Zwangsurlaub»

Die Kulturbranche wurde durch den Corona-Lockdown hart getroffen. Der Weinländer DJ Sam Madi erzählt, wie er die Zeit erlebt hat und was ihm Angst macht.

Sam Madi (ehm. bekannt als DJ Sam), ist der wohl bekannteste House-DJ-Export aus Schaffhausen. Normalerweise führt er ein intensives Leben und wäre jetzt bis Oktober als DJ bereits ausgebucht, doch seine Agenda sieht untypisch leer aus. Die Zeitung "Schaffhauser Nachrichten" traf ihn zu einem Interview in Benken. Er berichtete dabei ausführlich über die Corona-Zeit und seine Zukunftsprognose für die Partybranche.



1. Hallo Sam, die erste Frage und die wohl wichtigste vom ganzen Interview, wie geht es Dir und bist Du gesund? 

Danke der Nachfrage, ja es geht mir sehr gut und ich glaub ich bin gesund oder dann habe ich es nicht gemerkt («grins»)

2. Was hast Du als erstes gedacht, als Du gehört hast, dass es einen Lockdown gibt und alle Clubs und Bars schliessen müssen? 

Das kam für mich nicht sehr überraschend, ich habe die Situation im Ausland beobachtet und arbeitete nebenbei noch bei der «Spool AG», einer Event Agentur in Zürich. Wir hatten dort Aufträge für den Autosalon in Genf, als dieser abgesagt wurde, war mir klar, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis es die Clubs trifft.

3. Wie sah dein DJ-Leben vor dem Lockdown aus? Wie viele Auftritte hattest Du pro Monat? Gab es freie Weekends? Warst Du „nur“ in der Schweiz unterwegs oder auch international? 

Das Jahr startete hervorragend respektive schloss ich das Jahr 2019 bereits sehr erfolgreich ab. Ich hatte rund 16 Gigs alleine im Dezember und die Prognosen für das Jahr 2020 sahen sehr gut aus, ich hatte viele Anfragen und auch Ibiza war geplant. Ich bin voller Elan ins neue Jahr gestartet!

4. Wie viele Auftritte wurden Dir durch den Lockdown abgesagt? Welches wären die spannendsten gewesen? 

Ich zähle bis und mit August knapp 60 Auftritte, die mir aufgrund von Covid-19 abgesagt wurden, inkl. Ibiza, der Street Parade und weiteren grossen Festivals. Dazu kommen noch meine eigenen Events wie z.B. die Dayparty «Style am Rhein». Jeder Auftritt ist besonders, aber die Absage des grössten Techno Events der Welt: die Street Parade, das ist schon ein historischer Moment, da kamen mir fast kurz die Tränen.

5. Wann ist Deine „Hauptsaison“? Wann trifft es Dich am härtesten? 

Emotional gesehen tun mir die abgesagten Sommer-Gigs am meisten weh, diesen Sommer hatte ich viele Outdoor Anfragen, sogenannte «Daypartys». Für den Club-Betrieb wäre aktuell die Hochsaison von ca. Oktober bis Mai, wir sind also mitten drin.

6. März bis September werden wohl keine Partys stattfinden. Trifft Dich das auch finanziell? Wie lange kannst Du „durchhalten“? 

Ich hatte zum Glück ein sehr erfolgreiches Jahr 2019, wohl eines der besten meiner Karriere. Dazu noch eigene Veranstaltungen und Nebenjobs unteranderem als Event-Manager bei der «SV-Group» für den «Güterhof» in Schaffhausen und als Projektleiter bei der «Spool AG» in Zürich, somit werde ich diese Auszeit finanziell gesehen gut stemmen können. Ich persönlich habe das Jahr 2020 bereits abgeschrieben .Ich glaube nicht, dass dieses Jahr noch viel bewegt werden kann, diese Durststreckte heisst es nun zu überbrücken und auf das Jahr 2021 zu hoffen.

7. Hattest Du oder hast Du zwischendurch Angst, dass Dich das Ganze in den Ruin treibt und Dein bisheriges Leben ruiniert? 

Ja, ehrlich gesagt bekommt man automatisch diese Gedanken, also nach wie vor ist die Zukunft ungewiss. Zum Glück habe ich keine Angestellte oder gemietete Lokalitäten, da wäre ich womöglich weniger entspannt.

8. Wie hast Du die Zeit während Corona verbracht? Was hast Du den ganzen Tag und an den freien Wochenenden gemacht? 

Es klingt vielleicht etwas komisch, aber ich geniesse diesen Zwangsurlaub, ich verbringe jede freie Minute, also sozusagen den ganzen Tag, in meinem Tonstudio, mein Kopf ist frei, ich kann mich voll auf das Musizieren im Studio konzentrieren ohne Auftritte und Events im Kopf. Ich arbeite gerade an einem sehr spannenden Projekt mit Musikern aus Senegal, Westafrika zusammen. Es ist einfach schön im Studio zu sitzen und Kulturen zu mischen.

9. Du hattest ja wahrscheinlich seit 20 Jahren kein freies Wochenende mehr? Ist das nicht entspannend und ein riesiger Genuss? Hast Du für gewisse Dinge mehr Zeit gehabt?

 Ja, es ist wirklich absurd, mein Schlafrhythmus hat sich komplett verändert ich konnte früher Sonntags- und Montagsnacht nie einschlafen, erst ab Dienstag ging es dann langsam wieder. Ich ernähre mich viel gesünder, an den Wochenenden ass ich früher praktisch nur Fastfood. Es geht mir den Umständen entsprechend wirklich sehr gut. Ich fühle mich in meinem Körper so wohl wie noch nie. Auch die Natur erholt sich vom ganzen Stress. Das ist die schöne Seite von Covid-19.

10. Was vermisst Du am meisten? Dass die Partymeute Dich feiert? Das Herumreisen? Einen vollen Terminkalender zu haben? 

Es ist ganz klar die Euphorie, die Fans und die Emotionen auf dem Dancefloor, einfach wieder Freunde zu umarmen, die Energie der Musik zu spüren, eigene Songs auf einer grossen Anlage auszuprobieren und auch der eine oder andere Gin Tonic vermisse ich sehr («grins»)

11. Kannst Du nach dem Ende von Corona einfach wieder von 0 auf 100 gehen oder gibt es „Langzeitschäden“ für Dein Business? 

Es wird eine Weile dauern, bis die «Normalität» wieder da ist, die Spätfolgen werden sicherlich in jeder Branche zu spüren sein. Dazu kommt noch das es vielen Gastro-Betrieben schon vor der Krise nicht gut ging, finanziell gesehen trifft es diese Branche besonders hart. Ich rechne auch mit einem Rücklauf meiner Anfragen, weil es immer weniger Veranstalter und Clubs gibt. Wir müssen uns womöglich wieder mit sehr kleinen Raves zufriedengeben, bevor wir wieder Grossanlässe feiern können. Das wäre finanziell gesehen aber nur eine Herzblut-Rechnung.

12. Wie sieht es bei Deinen DJ Kollegen aus? Können es alle so locker wegstecken wie Du oder gibt es auch Existenzen, die in Gefahr sind? 

Ich bin mit vielen im regen Austausch, es geht wirklich allen nicht gut, vielen hilft die Erwerbsausfallentschädigung vom Bund etwas unter die Armen, aber die meisten sind auf Jobsuche, ich vermutlich bald auch («grins»). Es ist eine sehr schwierige Zeit, aber es gab auch Zeiten da haben wir uns alle dumm und dämlich verdient und literweise Champagner und tonnenweise Konfettis durch die Luft geschleudert. Wer in dieser Zeit nicht etwas auf die Seite gelegt hat für «schlechtere» Zeiten, der erlebt nun eine etwas härtere Durststrecke. Ich habe zum Glück noch eine Flasche Champagner im Kühlschrank stehen.

13. Der Lockdown gibt ja eigentlich einen Vorgeschmack auf den Ruhestand und auf das Rentnerleben. Kannst Du Dir jetzt eher vorstellen, einmal aufzuhören oder hat Dich das Ganze erst richtig angestachelt? 

So in den ersten paar Wochen war es schon ganz nett einfach mal nichts zu tun. Doch so langsam fehlen mir meine Fans und die Euphorie und die Emotionen auf dem Dancefloor. Ich weiss nicht ob ich jemals damit aufhören kann ich liebe es zu sehr, Musik zu machen. Aber es öffnet einem auch etwas die Augen, dass es im Leben nicht nur immer um «Party» geht.

14. Was wünschst Du Dir von den Politikern bzw. wie müsste es nach dem Lockdown Deiner Meinung nach im Idealfall weitergehen?

Ich habe grossen Respekt vor den Entscheidungen des Bundes, ich unterstütze den Beschluss, jedoch kann man erst im Nachhinein sagen, was richtig oder besser gewesen wäre, es ist für uns alle eine neue Situation. Im Nachhinein wissen wir alle mehr. Ich bin froh, in der Schweiz zu leben. Die Kulturhilfen und die Erwerbsausfallentschädigungen vom Bund sind einzigartig. Ich kenne viele DJs aus anderen Ländern, denen geht es gar nicht gut, die bekommen gar keine Hilfe. Dafür möchte ich mich einfach mal bei der Schweiz bedanken.

15. Viele Deiner Fans vermissen Dich ebenfalls. Warum machst du eigentlich keinen Livestream wie andere Künstler? 

Wie Ihr sicher gemerkt habt, gab es von mir noch keinen Livestream. Ich hatte viele Livestream-Anfragen und eigentlich auch ein schönes Studio, aus dem ich streamen könnte. Aber ich bin da vielleicht noch etwas «old school»; wer mich hören will, muss warten, bis die Clubs wieder offen haben. Das ist für mich eine Ehrensache für die Clubs, die mich immer wieder buchen. Einmal im Monat gibt es auf «Radio Deep» einen Mix von mir, den lade ich auf meine Webseite hoch und den kann man hören, wann man will, ohne zu warten, bis ich «live» bin. Ich sammle die Energie lieber für meinen ersten Gig, bei dem ich wieder offiziell auftreten darf. Das wird ein richtig emotionaler Moment.

16. Noch eine Frage zum Schluss; Während des ganzen Interviews ist Dir trotz dieser schweren Zeit Dein bekanntes Lächeln nicht vergangen. Wie geht das? Was ist dein Glücksrezept? 

Es ist wichtig, dass man das beste aus der Situation macht. Es ist Zeit umzudenken. Es entstehen neue Ideen, es ist wichtig positive Energie daraus zu tanken. Ich wünsche der ganzen Branche viel Kraft und gemeinsam werden wir stark sein und auch bald wieder Erfolge feiern. Mein Appel geht an die sogenannte «Risikogruppe»: Ich bitte Sie, falls wir wiedermal etwas lauter an einer Party sind, dass Sie nicht gleich die Polizei rufen, sondern vielleicht auch mal ein Ohr zudrücken. Wir nehmen uns gerne zurück, würden uns aber über eine Revanche freuen.