Mittwoch, 6. Mai 2015

Wenn Wissenschaftler slammen

Als glänzender Auftakt zum Tag der Naturwissenschaften findet am kommenden Freitagabend der erste Science Slam in Schaffhausen statt. Dort treten sechs Studenten und WissenschaftlerInnen auf witzige und Art und Weise in Kurzvorträgen aus ihrem Fachgebiet gegeneinander an. Dieses neue, unterhaltsame Format der Wissensvermittlung geht auf den Poetry Slam zurück.

Bestechen muss auch hier die Performance auf der Bühne; das Publikum entscheidet, wer harte Fakten knackig rüberbringen kann. Die Kunst beim Science Slam besteht darin, die richtige Balance zwischen ernster Wissenschaft einerseits und lockeren Sprüchen und Publikumsanimation andererseits zu finden.

Tokter Tanner führt als Moderator durch den Event. Zuerst sorgt der versierte Slam Poet Renato Kaiser dafür, dass die Lachmuskeln gelockert und die Gehirnwindungen auf Trab sind. Dann gibt es spannende Beiträge zu hören wie "Science, die Wissenschaft", "Dino-Leichen, wie habt ihr euch verändert!" oder "Gescheit, gescheiter, gescheitert – Die Zukunft von Gestern".

Eine geballte Ladung an Infos kommt auf das Schaffhauser Publikum zu!

Eintritt: Fr. 10.- Tür: 20 Uhr Beginn: 21 Uhr

 
Interview mit Renato Kaiser zum Science-Slam kurz vor seinem Auftritt:
„Der Auftritt vor acht Menschen braucht mehr Mut als vor 800“
Hermann-Luc Hardmeier:  Bist du eigentlich nervös, bevor du auf die Bühne gehst?
Renato Kaiser: Ja, ich bin immer ein wenig nervös. Aber mittlerweile bin ich ja gut geübt und es ist nicht mehr so schlimm wie damals, als ich das erste Mal auf einer Bühne stand.
Hermann-Luc Hardmeier: Lampenfieber ist ja wahrscheinlich einer der Hauptgründe, warum heute nicht mehr Slammer auf der Bühne sind?
Renato Kaiser: Wie meinst du das?
Hermann-Luc Hardmeier: Du hattest ja vor dem Slam einen Workshop an der Kanti gemacht. Wenn ich das richtig verstanden habe, war eines der Ziele dieses Workshops, dass die Teilnehmer danach am Science-Slam mitmachen. Nun ist keiner der Teilnehmer dabei.
Renato Kaiser: Das ist richtig. Von den sieben Teilnehmern des Workshops wollte niemand auf die Bühne. Trotzdem hat sich ein anderer Kantischüler gemeldet, der mitmacht.  Nervosität vor einem Publikum zu sprechen, war sicher ein Grund, warum die anderen nicht wollten.
Hermann-Luc Hardmeier:  Und der andere?
Renato Kaiser: Hmm, ja es stehen demnächst Maturaprüfungen an. Ich denke, die Teilnehmer hätten ihren Beitrag gut einproben wollen. Angesichts des Matur-Stresses haben sie wohl andere Prioritäten gesetzt.
Hermann-Luc Hardmeier: Bist du darüber enttäuscht?
Renato Kaiser: Nein. Mein Ziel war es nicht, alle auf die Bühne zu bringen. Ich finde es immer gut, wenn junge Menschen freiwillig Texte schreiben und das Vortragen üben. Ein Auftritt auf einer Bühne das schafft man nicht per Knopfdruck. So eine Einstellung muss sich entwickeln. Ich finde es ist schon ein Erfolg, dass diese Kantischüler am Workshop mitgemacht haben und sich mit der Sprache auseinandergesetzt haben. Wer weiss, vielleicht keimt beim einen oder anderen ja der Gedanke und sie slammen doch noch eines Tages vor Publikum.
Hermann-Luc Hardmeier: Du warst ja auch nicht gleich von Beginn an der Superstar der Szene.
Renato Kaiser: Nein. Es gibt viele Beispiele. Auch Lara Stoll gewann nicht gleich ihren ersten Slam. Man muss dranbleiben und sich weiterentwickeln. Ich nahm ein paar Mal teil. Irgendwann war ich genervt und schrieb einen Text darüber, dass ich noch nie einen Slam gewonnen habe und zog satirisch über die anderen Grössen der Szene her. Als ich diesen Text das erste Mal aufführte, gewann ich prompt.
Hermann-Luc Hardmeier: Der Chäller ist heute mit knapp 60 Besuchern ja nicht prall gefüllt. Ich frage mich immer noch, ob es heute wirklich so viel Mut gebraucht hätte, um auf der Bühne zu stehen.
Renato Kaiser: Es braucht immer Mut. An der Schweizermeisterschaft im Poetryslam im März standen die Teilnehmer vor 850 Menschen. Da profitiert man auch von gewissen Massenphänomenen. Ich finde es braucht bei wenig Menschen eigentlich viel mehr Überzeugungskraft. Vor acht Menschen aufzutreten braucht mehr Mut als vor 800.
Renato Kaiser: Und jetzt muss ich auf die Bühne.
Hermann-Luc Hardmeier: Ich bedanke mich vielmals für das Gespräch.
 
Und hier ist der Bericht über den Anlass, welcher am Montag, 11. Mai in der Zeitung "Schaffhauser Nachrichten erschien und von Hermann-Luc Hardmeier geschrieben wurde:
 

Historiker slammt vier Studenten und einen  Kantischüler von der Bühne
Der Grösste war an diesem Abend der Grösste. Mit über zwei Metern Höhe war der Sieger des Abends Ben Meyer keine unauffällige Erscheinung und zeigte nicht nur optisch, sondern auch inhaltlich den Mitstreitern, wo die Musik spielt. Der Historiker gewann den ersten Science-Slam im Chäller. Ein Wettkampf der Wissenschaftler mit einem einfachen Ziel: Fünf Studenten und ein Kantischüler erklärten den Zuhörern einen Teilbereich ihrer aktuellen Forschung auf äusserst unterhaltsame Weise. Der Anlass war der Auftakt zum Tag der Naturwissenschaften. „Seit 130 Jahren sind Geistes- und Naturwissenschaften voneinander getrennt“, erklärte Hauptorganisator Dani Leu. „Das ist schade. Wir wollen mit dem Science-Slam eine Brücke zwischen den Disziplinen schlagen.“ Die Eröffnung des Abends machte der Poetry-Slammer Renato, der zuvor für ausgewählte Kantischüler einen Poetry-Slam-Workshop durchgeführt hatte. Der Schweizermeister aus dem Jahr 2012 und Buchautor (z.B. Neutralala) stimmte das Publikum mit drei Texten ein. Im ersten erschien ihm Goethe im Traum und kritisierte: „Du bist der Dieter Bohlen der Poesie.“ Dass dem nicht so ist, bewies Kaiser mit seinen zwei weiteren Texten, die kleinen, absurden Soziologiestudien nahekamen. Zuerst beschrieb er herrlich die Leiden von SBB-Pendlern und ihren einzigen Lichtblick im Leben: Die Berglandschaften auf den SBB-Toiletten. Danach versuchte er einer Migros-Werbung nachzueifern und wildfremden Menschen ein Kompliment zu machen. Das ging aber gewaltig nach hinten los. Das Publikum war köstlich unterhalten und perfekt für die kommenden Wissenschaftler eingestimmt. Biologistudent Martin Jakob erklärte mit Hilfe eines Märchens und dem Ballergame GTA, wie eine Mücke übertragbare Krankheiten verbreitet. Medizinstudent Jonathan Weller sprach über zankende Zellen und Krebs mit PowerPoint und Smiley-Emoticons. Tanja Dallafior malte düstere Szenarien des Klimaeffekts an die Wand in Kombination mit Bildern einer knuffigen Babykatze. Der Kantischüler Damian Schmid stach mit seinem Text heraus, da er die Wissenschaft an sich kritisierte und in Frage stellte. Achim Reisdorf reizte die Lachmuskeln aufs Äusserste mit seinem Vortrag über Dino-Leichen und Ben Meyer erklärte unter anderem, warum sich radioaktive Zahnpasta nicht durchgesetzt hat. Geschliffen, frech und grossartig führte Tokter Tanner als Moderator durch den Abend. Fazit: Noch nie hat Naturwissenschaft so viel Spass gemacht.
Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung "Schaffhauser Nachrichten" am Montag, 11. Mai 2015.

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